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DLG / 08.09.2023
DLG-Präsident Paetow kritisiert planwirtschaftliche Bürokratie beim Umbau der Landwirtschaft
DLG-Unternehmertage 2023 in Magdeburg „Internationale Perspektiven und Strategien“ – Resignation für Unternehmer keine Option
Pressemitteilung / (Frankfurt am Main) Zur Eröffnung der DLG-Unternehmertage 2023 in Magdeburg hat DLG-Präsident Hubertus Paetow auf das Risiko einer Abhängigkeit bei der Grundversorgung mit Lebensmitteln aus dem Ausland hingewiesen und auf die Sicherung des Produktionsstandortes Deutschland für die landwirtschaftlichen Betriebe hingewiesen. Landwirtschaftliche Unternehmen seien von natürlichen und politischen Standortfaktoren in besonderer Weise abhängig, weil eine Verlagerung der Produktion für die Unternehmen nicht so einfach möglich ist. Zudem gewinne der Unternehmensstandort in einer Welt, in der die Risiken der globalen Arbeitsteilung zunehmen, erheblich an Bedeutung.
Corona und Ukrainekrieg mit ihren Folgen für die globalen Lieferketten hätten gezeigt, dass eine globale Ausrichtung der Produktion lediglich nach komparativen Kostenvorteilen ihre Grenzen habe, sagte Paetow vor über 400 Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus der Agrarbranche. Auch die politischen Risiken einer Konzentration von bestimmten Produktionen auf einen Standort, wie z. B. die Erzeugung von Brotweizen für Nordafrika nur in Russland und der Ukraine, müssten in die Kostenrechnung zur Standortbeurteilung mit einbezogen werden.
Die Preisausschläge auf den Weltagrarmärkten, die für den deutschen Ackerbau positiv seien, für weniger zahlungskräftige Verbraucher in Europa und insbesondere in den auf Importe angewiesenen Entwicklungsländern aber existenzbedrohend sind, hätten gezeigt, was Unsicherheit in der Versorgung mit Nahrungsmitteln am Ende bedeutet. Dabei werde der Begriff der Ernährungssicherheit häufig mit dem tatsächlichen Mangel an Nahrungsmitteln in den Importländern gleichgesetzt, also mit leeren Regalen und hungernder Bevölkerung. Mindestens ebenso folgenreich seien aber die Preissteigerungen bei Nahrungsmitteln für Menschen, die ohnehin schon den größten Teil ihres verfügbaren Einkommens für die Ernährung ausgeben müssten.
Diese hätten dann nämlich noch weniger Einkommen für Wohnen, Gesundheit und Bildung übrig, also für die Investitionen, die langfristig und nachhaltig zur Armutsbekämpfung notwendig sind. Und dies gelte nicht nur im globalen Süden, sondern auch vor unserer Haustür, so Paetow.
Mehr Absicherung notwendig
Je mehr die Kontrolle über globale Handelsverflechtungen zum Mittel der Konflikteskalation werde, desto wichtiger werde eine Absicherung im Sinne einer Diversifizierung der Handelspartner, aber eben auch die eigene Erzeugung im Sinne der Unabhängigkeit. Dies bedeute für ein global vernetztes Ernährungssystem wie das unsere, dass man Verlagerungseffekte durch willkürliche Gestaltung von Produktionsstandards nicht beliebig in Kauf nehmen könne, weil man sich dann eben in jene Abhängigkeiten begebe, die man beim Erdgas gerade so schmerzhaft zu spüren bekommen habe.
„Bei allem Fortschritt in Richtung Ökologie und Klimaschutz sollte am Standort Europa eine Unabhängigkeit in der Grundversorgung, und damit eben auch in der Nahrungsmittelerzeugung, bewahrt werden“, so der DLG-Präsident. „Auch das gehört zur Zeitenwende.“
Diese Unabhängigkeit brauche weder hohe Subventionen noch einen besonderen Schutz vor Importen, sie brauche lediglich Rahmenbedingungen, die die Unternehmen nicht auch noch dabei behindern, sich im Sinne einer globalen Wettbewerbsfähigkeit weiterzuentwickeln, betonte Paetow.
Anpassungsfähigkeit nicht behindern
Die Land- und Ernährungswirtschaft am Standort Deutschland habe sich immer durch ein hohes Maß an Innovationskraft und eine hohe Produktivität ausgezeichnet. Diese Fähigkeiten hätten, so Paetow, die Nachteile einer Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft für die Urproduktion, nämlich hohe Löhne und sonstige Faktorkosten, immer zumindest so weit kompensiert, dass trotz starker Konkurrenz aus anderen Regionen funktionierende heimische Wertschöpfungsketten in der Nahrungsmittelerzeugung entstanden seien.
Seit dem Beginn der Liberalisierung und Globalisierung der Agrarmärkte hätte auch die Wissenschaft prognostiziert, dass Landwirtschaft in den Industriestaaten Mitteleuropas im globalen Wettbewerb mit anderen Agrarregionen nicht mehr mithalten könne. „Aber bis heute kann die deutsche und europäische Agrarbranche durchaus mithalten, und das liegt nicht nur an einer stetig steigenden Nachfrage nach Nahrungsmitteln, sondern eben auch an der erfolgreichen Anpassung an die Rahmenbedingungen, an der stetigen Optimierung von Produktionsverfahren bei Flächen- und Arbeitsproduktivität, im Übrigen bei zumindest gleichbleibenden, wenn nicht sogar abnehmenden negativen Auswirkungen auf Natur und Umwelt“, sagte der DLG-Präsident. „Diese Strategie wird jetzt allerdings in Frage gestellt.“
Zugang zu Fortschritt und Innovationen
Wenn die deutsche Landwirtschaft durch Innovation wettbewerbsfähig bleiben will, bräuchte sie laut Paetow vor allem zwei Dinge:
- Zugang zum Fortschritt.
- Sicherheit für ihre Investitionen, denn diese seien mit der Einführung innovativer Verfahren verbunden.
Zugang zum Fortschritt heiße dabei nicht, dass jede Innovation ungeprüft und ohne Regulierung eingeführt werden könne. Die Landwirtschaft müsse sich auch im eigenen Interesse um die möglichen Folgen neuer Verfahren für Umwelt und Gesundheit kümmern. Es müsse eine Form der Regulierung gefunden werden, die diese Folgen auf das Notwendigste beschränkt.
Was aber laut Paetow nicht funktionieren werde, sei eine Abkehr vom technischen Fortschritt als Lösung der Zielkonflikte zwischen Produktivität und Ressourcenschonung. „Gerade für die Bewältigung dieser Zielkonflikte braucht es den ganzen Werkzeugkasten der Innovation, und eben keine politische Angstbewirtschaftung durch die Erfindung immer neuer vermeintlicher Risiken der modernen Agrarproduktion“, forderte der DLG-Präsident. „Vorsorgeprinzip heißt eben nicht, Vorsorge um des Prinzipes willen. Was wir gerade in der Politik bei Pflanzenschutz und Züchtungstechnologien am Standort Deutschland erleben, ist das Gegenteil von Vorsorge im Sinne nachhaltigen Fortschritts.“
Sicherheit für Investitionen könne für unternehmerische Landwirte nicht bedeuten, dass jede Investition bis zum Ende ihrer Abschreibungszeit eine garantierte Verzinsung bringt. Diese Vollkaskoversicherung könne es in einem auf Dynamik angelegten Wirtschaftssystem nicht geben, so Paetow. Aber die investierenden Unternehmen sollten sich zumindest darauf verlassen können, dass die gesetzlichen Vorgaben eine Investition, z. B. in eine tierwohlgerechte Stallanlage, nicht schon entwerten, bevor sie in Betrieb genommen werden kann.
Paetow sieht für eine erfolgreiche Land- und Ernährungswirtschaft am Standort Deutschland aktuell widersprüchliche Zeichen. Auf der einen Seite sei die Nachfrage auch nach den in Deutschland etwas teurer produzierten Nahrungsmitteln hoch, was man an den zwar volatilen, insgesamt aber doch komfortablen Erzeugerpreisen sähe. Trotz hoher Kosten für Lohn, Fläche und Standards sei die Rentabilität insbesondere im Ackerbau aktuell gut, so Paetow.
Aber wie für die gesamte deutsche Volkswirtschaft gelte auch für die Ernährungsbranche, dass die heutigen Entscheidungen der Politik insbesondere über die zukünftige Wettbewerbsfähigkeit und damit auch die strategische Ausrichtung der Betriebe bestimmten. Und diese heutigen Entscheidungen, insbesondere aus der Politik, würden große Zweifel daran aufkommen lassen, dass auch in Zukunft die Innovationskraft und Produktivität der Unternehmen ausreichen werden, im internationalen Wettbewerb zu bestehen, so Paetow.
Es verwundere auch nicht, dass trotz auskömmlicher Betriebsergebnisse die Stimmung bei den Betriebsnachfolgenden, die Investitionspläne beim Umbau der Tierhaltung und allgemein die Bereitschaft der Betriebe, sich unter diesen politischen Rahmenbedingungen im Sinne eines nachhaltigen Fortschritts weiterzuentwickeln, auf einem Tiefpunkt angekommen sind.
Politische Umsetzung bestimmt über die Zukunft der Betriebe
„Wenn wir den Standort Deutschland und sein Ernährungssystem für die Zukunft sowohl ökologisch nachhaltig als auch ökonomisch wettbewerbsfähig aufstellen wollen, dann geht das nicht mit planwirtschaftlicher, hyperbürokratischer Feinsteuerung, die eine ganze Branche unter Generalverdacht stellt“, sagte DLG-Präsident Paetow. „Wenn der digitale Fortschritt sich in Satellitenbildern zur Auflagenkontrolle erschöpft und eine 100-prozentige Einhaltung der Vorschriften der Ordnungspolitik objektiv für keinen Betrieb mehr möglich ist, dann sind wir fast schon da angekommen, wo wir in Ostdeutschland 1989 aufgehört haben – bei einem maximal unternehmerverachtenden System, das weder den Fortschritt hin zu einem nachhaltigen Wirtschaftssystem befördert noch auch nur seine eigenen politischen oder ideologischen Ziele erreicht.“ Paetow hielt abschließend fest: „Diese Beurteilung der heutigen Rahmenbedingungen, so richtig und ernüchternd sie ist, muss von einer Zukunftsorganisation wie der DLG so getroffen und gesagt werden. Denn die heutigen politischen Entscheidungen bestimmen über die Zukunft der Betriebe und der ganzen Branche. Für den einzelnen landwirtschaftlichen Unternehmer auf seinem Betrieb stellt sich die Lage aber nicht so einfach dar: Für echte Unternehmer ist Resignation keine Option – the Show must go on.“
Fazit
DLG-Präsident Hubertus Paetow hielt abschließend fest:
- Der Standort Deutschland braucht einen starken Agrarsektor mit wettbewerbsfähiger Produktion, um ein Mindestmaß an Unabhängigkeit in der Daseinsvorsorge sicherzustellen.
- Bürokratische, planwirtschaftliche und innovationsfeindliche Feinsteuerung ist völlig ungeeignet, um das Ziel eines nachhaltigen Ernährungssystems zu erreichen.
- Gut ausgebildete, kreative und hochmotivierte Unternehmer und Mitarbeiter sind unser wertvollster Standortvorteil. Wenn wir diesen Vorteil nutzen, indem wir für diese Akteure des Fortschritts beste Rahmenbedingungen und möglichst wenig Hindernisse schaffen, müssen wir uns um den Agrarstandort Deutschland keine Sorgen machen.
weitere Informationen: DLG, www.dlg.org